Evolution als roter Faden im Unterricht
Was ist Leben? Mit dieser Frage startet keine Philosophievorlesung, sondern der neu konzipierte Bachelorstudiengang in Biologie der ETH Zürich. Damit schl?gt das Departement einen vollst?ndig neuen Weg ein.
Die Dozierenden des Departements Biologie der ETH Zürich setzen neu auf die Evolution als roten Faden im Bachelorstudiengang. Wer im Herbst das Biologiestudium aufnimmt, wird mit der Frage konfrontiert, was die Grundprinzipien des Lebens sind und wie sich das Leben vor ungef?hr vier Milliarden Jahren auf unserem Planeten entwickelt haben k?nnte. Einerseits geht es um die Bedingungen, die vorherrschen müssen, damit Leben entsteht, also darum, wie die Umwelt die Lebensformen beeinflusst. Andererseits geht es um die generelle Frage, was jede Zelle leisten muss, um sich vermehren zu k?nnen – nicht nur auf die Erde bezogen, sondern beispielsweise auch auf einem anderen Planeten.
Konkret setzen sich die Studierenden am Anfang mit der chemischen Virtuosit?t in relativ einfach aufgebauten einzelligen Organismen wie Bakterien und Archaeen auseinander. Erst dann besch?ftigen sie sich mit den ?usserst komplexen regulatorischen Vorg?ngen, die für die Entstehung von hoch entwickelten Organismen wie Pflanzen, Tieren und Menschen notwendig waren. Organismen, die sich durch eine riesige Anzahl unterschiedlich differenzierter Zellen auszeichnen.
Zusammenh?nge aufzeigen
?Indem wir den Stoff an der Entwicklungsgeschichte der Organismen ausrichten, k?nnen wir vermehrt allgemeine Gesetzm?ssigkeiten und Zusammenh?nge aufzeigen und müssen weniger isoliertes Faktenwissen vermitteln?, begründet Julia Vorholt, Professorin für Mikrobiologie, die Neuausrichtung. Vorholt ist die Initiantin der Studiengangreform und leitet das Projekt im Departement.
Bisher starteten die Studierenden ihr Biologiestudium an der ETH mit Pflanzen und Tieren, ganz der Tradition von Biologiestudieng?ngen folgend, wie sie üblich sind. ?Davon wollten wir uns l?sen?, sagt Vorholt. ?Denn wenn wir mit komplexen Mehrzellern einsteigen, laufen wir Gefahr, den Blick auf den biologischen Kontext zu verdecken.? Biochemie-Lehrbücher zum Beispiel stützten sich oft auf den Stoffwechsel von spezialisierten Zellen ab, wie zum Beispiel einer menschlichen Leberzellen. ?Andere Zellformen haben jedoch andere M?glichkeiten, Energie zu gewinnen oder sich zu teilen?, gibt Vorholt zu bedenken.
Intuitiver Ablauf
Es ist kein Zufall, dass der Anstoss für die Reform von einer Mikrobiologin kam. Julia Vorholt besch?ftigt sich in ihrer Forschung mit Bakterien und Archaeen, den einzigen beiden Organismengruppen, die bereits in der ersten H?lfte der Erdgeschichte existierten. Obwohl diese die Grundlagen für alles Leben auf der Erde gelegt haben, wurden sie bislang erst zu einem sp?teren Zeitpunkt im Studium behandelt. ?Das ist nicht intuitiv?, sagt sie, ?zumal, wenn man sich überlegt, dass wir nach heutigem Kenntnisstand alle Organismen auf einen gemeinsamen Ursprung zurückverfolgen k?nnen?.
Ihre Bedenken gegenüber dem bisherigen Bachelor-Studiengang ?usserte Vorholt an einer Klausur des Biologiedepartements und skizzierte dort ihre Idee einer kompletten Neuausrichtung. Sie stiess auf Interesse. Es folgten viele Gespr?che, die sie darin best?rkten, zusammen mit einer Gruppe von Kollegen das Konzept weiter zu erarbeiten. Als Vorholt dieses ein halbes Jahr sp?ter dem Departement vorstellte, kam als gr?sster Einwand, dass kein fertiges Lehrbuch zur Verfügung stünde. ?Wir müssen das Material selbst zusammenstellen und kreativ werden?, lautete ihre Antwort.
Eine Erz?hlung entwerfen
Allen Dozierenden war klar, dass mit einer solchen Umstellung viel Arbeit auf sie zukommt. Doch die Bereitschaft war da, und es wurde eine Curriculumsgruppe gegründet mit dem Mandat, den Bachelor-Studiengang von Grund auf neu zu konzipieren. Dieser breit aufgestellten Gruppe geh?rten neben Professoren und Lehrspezialistin auch Studierende an.
Die Projektgruppe erarbeitete die Rahmengeschichte und einen Vorschlag für den Aufbau des Studiengangs. ?Wir k?nnen in den Lehrveranstaltungen nun nicht mehr einzelne Themen isoliert behandeln, sondern müssen sie in einen Zusammenhang stellen? sagt Vorholt. Um die allgemein gültigen Konzepte zu betonen, ist es notwendig, die Inhalte konsequent aufeinander abzustimmen. ?Es ist wie ein Staffellauf, wir müssen von A nach B kommen, von B nach C usw.?, erkl?rt Vorholt. Das Narrativ wurde vom Departement gutgeheissen, und dann wurde entschieden, wer in welcher Lehrveranstaltung welche Lehrinhalte vermittelt, so dass die Expertisen der Dozierenden m?glichst optimal genutzt werden.
Inhalte neu erarbeiten
Das war der Startschuss für die Ausarbeitung der Inhalte. ?Dabei ist es wichtig, dass sich die Dozierenden abstimmen und Berührungspunkte identifizieren, damit die Lehrinhalte aufeinander aufbauen? betont Vorholt. Die Lernmaterialien würden zentral abgelegt, so dass alle Dozierende vorhergehendes Material in den Kontext ihrer Vorlesung einbeziehen k?nnen. Indem sie zum Beispiel bereits gezeigte Abbildungen ein weiteres Mal verwenden, erzielen sie bei den Studierenden einen Wiedererkennungseffekt.
Einen grossen Einsatz für die Reform leisteten aber nicht nur die Dozierenden des eigenen Departements, sondern auch jene in 澳门美高梅金殿n, die sogenannte Servicevorlesungen halten, insbesondere in der Chemie. ?Wir haben die Chemie mit der Biologie so verzahnt, dass der Zusammenhang zwischen den Fachgebieten von Anfang an klar wird?, sagt die Projektleiterin.
Kritisches Denken f?rdern
Entstanden ist ein weltweit einzigartiges Konzept für den Bachelorstudiengang, der gleich noch ein weiteres wichtiges Ziel verfolgt: ?Indem wir die Studierenden gleich zu Beginn mit grossen offenen Fragen konfrontieren, zum Beispiel wie das Leben entstanden sein k?nnte und wie sich die Theorien dazu über die Zeit entwickelt haben, m?chten wir von Beginn weg ihre Neugierde, aber auch ihren kritischen Geist wecken?, sagt Vorholt.
Anmeldung zum Bachelor-Studium bis 30. April
Wer im Herbstsemester 2020 den Bachelorstudiengang in Biologie beginnen will, hat noch bis zum 30. April Zeit sich anzumelden. Weitere Informationen sind unter Zulassung zum Bachelor-Studium zu finden.