Grundlagen für das Energiesystem von morgen
Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Energiesystem werden Technologien zur flexiblen Umwandlung und effizienten Speicherung von Energie immer wichtiger. Um diese dr?ngenden Themen realit?tsnah zu untersuchen, entwickeln die ETH Zürich, die Empa und das Paul Scherrer Institut seit 2019 ReMaP, eine neuartige Forschungsplattform. Nun liegen erste Erkenntnisse vor.
Das heutige Energiesystem der Schweiz basiert zum einen auf dem Import von fossilen Energietr?gern wie Gas, Benzin und Erd?l, zum anderen auf relativ wenigen, grossen Nuklear- und Wasserkraftwerken. Der von diesen Kraftwerken erzeugte Strom gelangt über das ?bertragungs- und Verteilnetz zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Speicherseen, Pumpspeicher und der Stromhandel mit anderen L?ndern gleichen Nutzungsschwankungen, zum Beispiel zwischen Tag und Nacht, aus. Dieses System dürfte sich in den n?chsten Jahrzehnten grundlegend ver?ndern. Das 2018 in Kraft getretene Energiegesetz sieht vor, dass die Schweiz schrittweise auf nukleare Energie verzichtet und vermehrt erneuerbare Energiequellen nutzt. Weiter sollen Geb?ude, die Industrie und die Mobilit?t energieeffizienter werden. Der Netto-CO2-Ausstoss soll im Jahr 2050 bei null liegen. Das k?nnte den Stromverbrauch zus?tzlich erh?hen, etwa durch die vermehrte Nutzung von Elektrofahrzeugen oder W?rmepumpen.
Eine Herausforderung besteht darin, den Anteil der Nuklearenergie am Schweizer Strommix (heute rund 35 Prozent) durch erneuerbare Energie zu decken. Eine grosse Rolle wird dabei die Photovoltaik, eine vergleichsweise geringere Rolle die Windkraft spielen. Beides sind volatile Energiequellen, weil sie saisonal und je nach Wetter unterschiedlich viel Leistung produzieren. Um Produktion und Nachfrage in Einklang zu bringen, sind Technologien gefragt, die Energieformen umwandeln, effizient speichern und dann in der ben?tigten Form wieder bereitstellen k?nnen. So k?nnte mit der überschüssigen Solarenergie vom Sommer der erh?hte Bedarf im Winter gedeckt werden. Mit flexiblen Umwandlungs- und Speichertechnologien, gepaart mit digitalen L?sungen, w?ren vermehrt sogenannte Sektorkopplungen m?glich. Zum Beispiel k?nnte dann mit günstig verfügbarem Strom aus Photovoltaikanlagen Wasserstoff hergestellt werden, um Lastwagen zu betanken. Das Stromnetz der Zukunft wird dezentraler, flexibler und vernetzter.
Ein ?kosystem für die Energieforschung
Dasselbe muss für die Forschung gelten, die die Grundlagen dafür liefert. ?Wer eine einzelne Technologie isoliert erforscht, kann nur eine beschr?nkte Aussage treffen?, meint John Lygeros, Professor am Institut für Automatik der ETH Zürich. ?Es braucht bereits in der Forschung ein vernetztes ?kosystem, um alle m?glichen Technologien im Wechselspiel miteinander zu testen.? Lygeros leitet eines der zehn Forschungsprojekte unter dem Dach der Plattform ReMaP (?Renewable Management and Real-Time Control Platform?), die teilweise vom Bundesamt für Energie unterstützt wird und im Juni 2019 von der ETH Zürich, der Empa und dem Paul Scherrer Institut der ?ffentlichkeit vorgestellt worden ist.
Die Institutionen verfügen über eine grosse Bandbreite an Forschungsinfrastrukturen, die im Rahmen des ReMaP-Projekts verbunden und erweitert werden. Diese Infrastrukturen umfassen heute die Plattformen ESI des PSI sowie ehub der Empa. W?hrend ESI unter anderem mit verschiedenen Technologien zur Umwandlung von Elektrizit?t in Gase aufwartet, bietet ehub die M?glichkeit, Energieflüsse in den Wohn-, Arbeits- und Mobilit?tssektoren zu untersuchen. Es nutzt die Demonstratoren NEST – ein st?ndig belebtes ?vertikales Quartier? für nachhaltiges Bauen – sowie move, eine Tankstelle für Treibstoffe aus erneuerbarer Energie.
Das Herzstück von ReMaP bilden das Control Framework und das Simulation Framework. Sie erm?glichen den Nutzerinnen und Nutzern, für ihre Experimente beliebig physische Ger?te von verschiedenen Standorten sowie digitale Modelle von Ger?ten in Echtzeit miteinander zu verknüpfen und deren Wechselwirkungen zu untersuchen. Die Daten aus den Versuchen gelangen in eine zentrale Datenbank. An der Erarbeitung der n?tigen Software sind zus?tzlich zwei Industriepartner beteiligt: Die Firma smart grid solutions und das ETH-Spin-off Adaptricity. Andreas Haselbacher, Dozent am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH und Leiter des ReMaP-Projekts, sagt: ?Momentan gibt es weltweit keine vergleichbaren Forschungsplattformen, die es erm?glichen, diverse Energiesysteme auf Quartierebene sowohl hardware- wie auch softwareseitig zu verstehen.?
Flexibilit?t als Hauptziel
John Lygeros und seine Doktorandin Marta Fochesato k?nnen zum Beispiel von der ETH aus sowohl einen Elektrolyseur am Paul Scherrer Institut als auch eine Wasserstofftankstelle an der Empa nutzen. Im Elektrolyseur wird Strom dazu genutzt, Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Die beiden wollen die Speicherung von Energie in Form von Wasserstoff optimieren. Sie untersuchen unter anderem, wie man einen bestimmten Bedarf an Wasserstoff am kostengünstigsten decken kann. Anhand des Wirkungsgrades, der thermischen Dynamik und dem Regelverhalten des Elektrolyseurs entwickelten sie einen optimalen digitalen Regler, also einen Algorithmus, der jede Minute anhand des aktuellen Strompreises entscheidet, mit welcher Leistung der Elektrolyseur laufen soll. Ist der Strom teuer, wird der Wasserstoff nur hergestellt, wenn ein akuter Bedarf herrscht – wenn also zum Beispiel ein Auto mit Wasserstoff zu tanken ist. Ist er günstig, stellt das Ger?t Wasserstoff auf Vorrat her. Die Stromkosten sind so tiefer, als wenn der Elektrolyseur immer nur vorzu auf Bedarf reagieren würde. Entscheidend am Experiment ist es, die flexible Umwandlung und Speicherung von Energie so effizient wie m?glich zu machen – um schliesslich einen wichtigen Beitrag zum bisher ungel?sten Problem der wirtschaftlichen saisonalen Speicherung von Solar- oder Windenergie zu leisten. ?Infrastruktur verschiedener Institutionen in dasselbe Experiment einzubinden, ist anspruchsvoll. ReMaP ist darin einzigartig, dass es eine solche Zusammenarbeit wie hier zwischen ETH, Empa und PSI in dieser Gr?ssenordnung erm?glicht?, sagt Lygeros.
Ein anderes ReMaP-Projekt konzentriert sich auf Blockheizkraftwerke. Diese bestehen oft aus einem Verbrennungsmotor und einem Generator, der Elektrizit?t erzeugt. Diese kann bei einem ?berschuss zurück ins System gespeist werden. Die Abw?rme aus der Verbrennung wird zum Beispiel eingesetzt, um Geb?ude zu heizen. Diese W?rme stünde bei bis zu 750° zur Verfügung. Um ein Geb?ude zu heizen, wird sie aber bei rund 80° genutzt, wodurch ein betr?chtliches Nutzungspotenzial verloren geht, denn eine h?here Temperatur kann flexibler und effektiver genutzt werden. Konstantinos Boulouchos und Christian Schürch von der Professur für Aerothermochemie der ETH Zürich verfolgen den Ansatz, mit einem Teil der Abw?rme, anstatt zu Heizen, eine chemische Reaktion in einem Dampfreformer anzutreiben und sogenanntes Synthesegas, eine Mischung aus Wasserstoff, Methan und Kohlenstoffdioxid, herzustellen. So sinkt zwar die Heizleistung des BHKW, aber das Kraftwerk erzeugt damit eine h?herwertige und flexibler einsetzbare Energieform: das Synthesegas ist ein saisonal speicherbarer Energietr?ger. Die beiden Forscher suchen nun nach dem besten Betriebskonzept für solche Kraftwerke. Das für das Experiment verwendete Blockheizkraftwerk steht im ML-Geb?ude auf dem 澳门美高梅金殿 Zentrum der ETH, ist aber im Empa-Netzwerk eingebunden – alle Daten werden dort verarbeitet.
Offen für weitere Partner
ReMaP befindet sich weiter im Aufbau. Diese Experimente zeigen auf, dass dereinst auch weitere physische Systeme wie Biogasanlagen oder Wasserkraftwerke in die Plattform integriert werden k?nnten, auch wenn sie an keinem der drei Standorte stehen. Projektleiter Andreas Haselbacher richtet den Blick in die Zukunft: ?Wir sind sehr daran interessiert, weitere Partner einzubinden – seien es Universit?ten, Hochschulen oder Akteure aus der Industrie.? Der erkl?rte Zweck von ReMaP ist n?mlich nicht nur Forschung und Entwicklung, sondern auch Bildung und Kommunikation: Die Plattform soll dabei helfen, die n?chste Generation von Forschenden und Fachkr?ften auszubilden und gleichzeitig der breiten Gesellschaft sowie Entscheidungstr?gern aus Politik und Wirtschaft Einblicke in das Energiesystem der Zukunft zu bieten. Detlef Günther, Vizepr?sident Forschung der ETH, zeigt sich erfreut: ?Um in der Forschung schneller voranzuschreiten und schliesslich die Energiewende zu schaffen, müssen wir vernetzt und interdisziplin?r arbeiten und die Industrie genauso einbinden wie die Politik und die ?ffentlichkeit. ReMaP ist ein gutes Beispiel dafür, wie der ETH-Bereich bei diesen Themen vorangeht.?
Zur Veranstaltung ?ReMaP: Aktueller Stand und Ausblick?
Eine Veranstaltung informiert über den aktuellen Stand des Aufbaus von ReMaP sowie von vier der Forschungsprojekte, die in dessen Rahmen laufen. Forschende der teilnehmenden Institutionen sowie ein Redner aus der Industrie geben so Einblicke in das Energiesystem der Zukunft. Der Event findet online statt.
Mehr Informationen zum Event sowie zur Anmeldung finden Sie unter: externe Seite https://remap.ch/news.