Ökologie als Leitdisziplin der Zukunft
Eine naturbasierte Wirtschaft, die Lebensr?ume regeneriert und das Artensterben stoppt? Das kann gelingen, ist Christoph Küffer überzeugt – wenn wir die ?kologie in Forschung und Ausbildung st?rken und ?kologisches Know-how als Grundkompetenz in die Gesellschaft tragen.
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Das Artensterben ist zu einem der gr?ssten globalen Risiken geworden. Das haben inzwischen auch die internationale Politik und Wirtschaft erkannt. An der Weltnaturkonferenz in Montreal haben die Staaten heute ein globales Abkommen und dringend n?tige neue Ziele für die Biodiversit?t vereinbart.1 So sollen unter anderem bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresfl?chen unter Schutz gestellt werden. Das ist ein wichtiger Meilenstein für den Artenschutz und ein bedeutendes Signal an die Menschen. Es wird aber nicht reichen.
Biodiversit?t ist das Fundament für Lebensqualit?t, Gesundheit, ein gut funktionierendes lokales Klima, eine ?kologische Landwirtschaft und viele weitere lebensnotwendige Funktionen unserer Landschaften. Es muss daher gelingen, die gesamte genutzte Landschaft ?kologisch zu regenerieren. Dafür braucht es einen Wandel hin zu einer ?kologischen Wirtschaft, die Naturkapital vermehrt anstatt es zu vernichten. Das ist m?glich, wenn die Wirtschaft auf naturbasierte L?sungen setzt.
Mit der Natur statt gegen sie
Naturbasierte L?sungen spannen mit der Natur zusammen, generieren Wertsch?pfung und kommen – sofern gut durchdacht – der Biodiversit?t, dem Klima und der menschlichen Gesundheit zugute. Sie sind multifunktional und k?nnen sich selbst erhalten. Das macht sie oft anpassungsf?higer, widerstandsf?higer und im Unterhalt günstiger als technische L?sungen.
Regenerieren wir W?lder, Moore, Flüsse und B?den, f?rdern wir die Artenvielfalt und sichern uns wertvolle Dienste. ?kosysteme senken Treibhausgase und d?mpfen die Folgen des Klimawandels.2 Sie nehmen rasch viel Regenwasser auf und gleichen das regionale Klima aus, indem sie hohe Temperaturen und Trockenheit puffern.3
?kologische Landwirtschaft produziert Nahrungsmittel mit der Hilfe von biologischer Vielfalt auf dem Feld – von diverseren Kulturen über Nützlinge bis hin zu Mikroorganismen im Boden. Agroforstsysteme kombinieren Bodenkulturen mit B?umen und bringen ganze Artgemeinschaften ins Agrarland zurück. Das macht das System widerstandsf?higer.
In St?dten zeigen sich die Vorteile einer grünen Infrastruktur besonders deutlich: Die Vegetation reinigt die Luft und kühlt das Stadtklima, weil unversiegelte B?den Regenwasser speichern und für die Verdunstung bereitstellen. Grünanlagen bieten Raum für Erholung und erh?hen die Gesundheit und Lebensqualit?t der Menschen.
Fortschritt dank ?kologie
Die interdisziplin?re Stadtforschung ist aktuell ein spannendes Feld für naturbasierte L?sungen. Planer:innen, Architekt:innen und Ingenieur:innen arbeiten mit ?kolog:innen zusammen, um St?dte unter Einbezug von Natur klimatauglich und generell zukunftsf?hig zu machen.4
Dazu geh?ren auch ?biobasierte? Baumaterialien wie Lehm, Holz, Bambus, Stroh, lebende Pflanzen oder Pilzgeflechte.5 Sie sind wiederverwendbar, speichern CO2 und bergen das Potenzial für klimaneutrales Bauen in einer künftigen Kreislaufwirtschaft. ?Regeneratives Design? denkt über sich selbst erneuernde Geb?ude nach, die zudem abbaubar sind und als Teil der natürlichen Stoffkreisl?ufe die Stadtnatur oder nachwachsendes Baumaterial ern?hren.
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Diese Visionen illustrieren, wie der ?kologische Ansatz zu radikal neuen Ideen führen kann. Naturbasiert blickt nicht nostalgisch zurück, sondern bietet Perspektiven für die Welt von morgen.
Auch eine dringend n?tige Agrarwende wird nur gelingen, wenn wir auf den Prinzipien der biologischen Vielfalt aufbauen. Die moderne Biodiversit?tsforschung hat zum Beispiel aufgezeigt, dass Mischkulturen produktiver sind als Monokulturen.6 Aufgrund von fundiertem ?kologischem Wissen kann eine Landwirtschaft entstehen, welche verlorene Naturqualit?ten wiederherstellt und neue Produktionssysteme erfindet: Welche Pilze und Mikroben k?nnen degradierte B?den am besten regenerieren? Wie gewinnen wir verlorene Naturleistungen wie Best?ubung oder biologische Sch?dlingskontrolle wieder zurück? Welche Rolle werden Insekten oder Algen als Proteinquellen für unsere Ern?hrung spielen?
Als Gesellschaft mitbestimmen
Goldene Zeiten für technologischen Fortschritt ergeben sich immer dann, wenn eine durch Neugier angetriebene Grundlagenforschung auf ein gesellschaftliches Bedürfnis trifft. Im 20. Jahrhundert entstand so dank Durchbrüchen in der Physik und Chemie eine Wirtschaft, welche auf den Ingenieurwissenschaften und fossilen Energietr?gern basiert. Aktuell erleben wir eine Partnerschaft zwischen Computerwissenschaften und Digitalisierung. Wir haben als Gesellschaft die Wahl, welche Forschung wir f?rdern, und k?nnen indirekt beeinflussen, welche Kompetenzen aufgebaut werden und welche Innovationen entstehen k?nnten.
?Die Biodiversit?tskrise ist vor allem eine Krise der Wissensgesellschaft: Es fehlt an ?kologischem Wissen, Werten und Handlungskompetenzen.?Christoph Küffer
Entsprechend h?ngt auch der Weg zu einer naturbasierten ?konomie von der strategischen Ausrichtung der Hochschulen ab. Wollen wir als Gesellschaft unser Naturkapital erhalten oder vermehren, dann braucht es mehr ?kologische Kompetenzen in der Forschung und Entwicklung und letztlich auf allen Ebenen der Gesellschaft.7
Das bedeutet für Hochschulen, dass sie in die ?kologische Grundlagenforschung investieren, den Technologietransfer von naturbasierten L?sungen durch Ideen-Inkubatoren und Startup-Plattformen f?rdern, und ?kologisches Wissen in alle Studieng?nge und Weiterbildungskurse integrieren.
Die ETH Zürich hat mit der Nachhaltigkeit gezeigt, wie Fokussierung geht: Sie machte das Thema früh zu einem strategischen Schwerpunkt und verankerte es breit in Forschung, Lehre und auf dem 澳门美高梅金殿.8 Heute fliessen Prinzipien der Nachhaltigkeit in die Lehrinhalte aller Fachrichtungen ein. Ein ?hnliches Querschnittsthema sehe ich in der Biodiversit?t.
Eine erfolgreiche Regeneration der natürlichen Lebensgrundlagen wird das Wissen aller Disziplinen erfordern. Sie wird aber nur gelingen, wenn die ?kologie zur Leitdisziplin unseres Wirkens wird. Die Biodiversit?tskrise ist vor allem eine Krise der Wissensgesellschaft: Es fehlt an ?kologischem Wissen, Werten und Handlungskompetenzen.
1 Convention on Biological Diversity externe Seite CBD der UN: An der 15. Biodiversit?tskonferenz externe Seite CBD-COP15 in Montreal (Dezember 2022) sollen die Staaten eine globale Strategie mit neuen Zielen (2020 bis 2030) gegen das Artensterben verabschieden.
2 Fred Pearce: externe Seite A Trillion Trees – Restoring Our Forests by Trusting in Nature. Dieses Buch diskutiert Aufforstung als Klimal?sung kritisch und kompetent.
3 ?kosysteme schützen vor Naturgefahren: Beispiele sind Schutzw?lder im Gebirge, Küstenschutz durch Mangroven, Hochwasserschutz durch renaturierte Flussufer und Auen, Klimaregulierung und sauberes Wasser durch W?lder und Moore.
4 Das Future Cities Laboratory forscht zu nachhaltiger urbanen Entwicklung; aktuelle Projekte befassen sich mit Urbanisierung von Landwirtschaftsgebieten, resilienter grüner und blauer Infrastruktur oder mit verdichteten und begrünten St?dten.
5 Die Gruppe für Nachhaltiges Bauen (D-Baug) entwickelt biobasierte Baumaterialen und bietet Weiterbildungskurse an. Am Future Cities Laboratory wird zu Verbundwerkstoffen aus nachwachsenden Ressourcen wie Pilzen in Kombination mit digitalen Fertigungsmethoden geforscht.
6 Siehe Zukunftsblog Mischkulturen gegen Monotonie und ETH-News Mehr Ertrag in Mischkulturen.
7 Ein Schritt in diese Richtung ist das Translationale Zentrum zum Erhalt der Biodiversit?t: Als ?Joint Initiative? des ETH-Rates aus dem Departement Umweltsystemwissenschaften (?USYS) will Resultate der Forschung für Beh?rden und ?ffentlichkeit zug?nglich machen.
8 Nachhaltigkeit an der ETH Zürich, und Verantwortung und Nachhaltigkeit als strategisches Handlungsfeld der Hochschule.