Blutarmut mit Genschere behandeln

Die ETH-Molekularbiologin Mandy Boontanrart erforscht Gentherapien, die h?ufig vorkommende genetisch bedingte Blutarmutserkrankungen beheben k?nnten. Für sogenannte beta-H?moglobinopathien hat sie jetzt einen vielversprechenden L?sungsansatz entwickelt.

Frau steht mit verschränkten Armen im Labor. Sie trägt einen Kittel
Mandy Boontanrart arbeitet in ihrer Forschung an einer Gentherapie für erbliche Blutarmutserkrankungen. (Bild: ETH Foundation/Daniel Winkler)

Viele Erbkrankheiten gelten bislang als unheilbar. Zu unberechenbar und kompliziert der Eingriff ins Erbgut, zu ungewiss der Ausgang der Ver?nderung. Denn oft ist nicht nur ein Gen ins Krankheitsgeschehen involviert, sondern mehrere, die auf verschiedenen Chromosomen liegen k?nnen.

Seit sich die Nutzung der Genschere CRISPR/Cas9 fast schon explosionsartig verbreitet hat, haben sich die Spielregeln massiv ver?ndert. Die gezielte Ver?nderung von einzelnen Genen oder sogar Bausteinen des Erbguts haben dadurch innerhalb der vergangenen Jahre einen grossen Sprung nach vorne gemacht. Dank dieses gemeinsamen Efforts von Forschenden weltweit rückt nun die Heilung von Erbkrankheiten beim Menschen in Griffweite.

Genschere gegen beta-H?moglobinopathien einsetzen

Einer Erbkrankheit mit der CRISPR/Cas9-Technik zu Leibe rücken will auch die Molekularbiologin Mandy Boontanrart aus der Gruppe von ETH-Professor Jacob Corn. Soeben hat sie an einer Studie mitgearbeitet, die sich als bahnbrechend für die Behandlung von vererbbaren beta-H?moglobinopathien – zwei Formen von Blutarmut – erweisen k?nnte. Dazu z?hlen die beta-Thalass?mie und die Sichelzellan?mie, zwei der weltweit h?ufigsten Erbkrankheiten.

Vergr?sserte Ansicht: Der Unterschied zwischen den korrekt funktionierenden roten Blutkörperchen und denen mit einer Fehlfunktion.
Gesunde rote Blutk?rperchen sind scheibenf?rmig. Bei der beta-Thalass?mie treten mehr deformierte rote Blutk?rpchern auf, die überdies schneller abgebaut werden. Das führt zu Blutarmut. (Grafik: Adobe Stock/joshya)

Verursacht werden beta-H?moglobinopathien durch Mutationen des HBB-Gens. Dieses ist der Bauplan für eine Proteinkette namens beta-Globin, ein Bestandteil des roten Blutfarbstoffs H?moglobin, der millionenfach in roten Blutk?rperchen steckt und für den Sauerstofftransport im K?rper zust?ndig ist. In der Regel ist H?moglobin bei Erwachsenen aus zwei alpha-Globinen und zwei beta-Globinen zusammengesetzt. In geringem Umfang liegt auch H?moglobin vor, das aus zwei alpha- und zwei delta-Globinen besteht. Letzteres funktioniert gleich wie beta-Globin, wird aber in roten Blutzellen natürlicherweise nur in sehr kleinen Mengen hergestellt.

Wenn nun eine Mutation des HBB-Gens dazu führt, dass beta-Globine fehlerhaft hergestellt werden, kommt es zu einem Mangel an funktionierendem H?moglobin. Typischerweise kann dies dazu führen, dass rote Blutzellen frühzeitig absterben. Es kommt zur Blutarmut. Die Organe und der gesamte K?rper sind dann chronisch mit Sauerstoff unterversorgt.

Ist nur eine Kopie des HBB-Gens mutiert, k?nnen Tr?ger:innen der Mutation ein mehr oder weniger normales Leben führen. ?Zwar wird eine Person mit einer Mutation Schwierigkeiten haben, Profi-Athletin zu werden, aber man kann trotzdem Joggen, Schwimmen und Radfahren?, sagt Boontanrart, die selbst Tr?gerin eines mutierten Gens ist. Sind beide Genkopien schadhaft, wird es problematisch: ?M?chte man Kinder haben mit einem Partner, der die Mutation auch aufweist, k?nnten die Kinder beide mutierten Gene erhalten, eines vom Vater, eines von der Mutter. Diese Kinder w?ren schwer krank.?

delta-Globin-Produktion ankurbeln

Eine wirksame Behandlung für beta-H?moglobinopathien ist jedoch nicht verfügbar. In ihrer neuen Studie zeigen Boontanrart und ihre Kolleg:innen, dass sich das Problem über die F?rderung der delta-Globin-Bildung, welches das schadhafte beta-Globin ersetzt, l?sen liesse. ?Der Mensch produziert von Natur aus nur geringe Mengen von delta-Globinen. Das hat mit einer speziellen DNA-Steuerungssequenz zu tun, die die Transkription des entsprechenden Gens verhindert.? Die Forschenden kamen deshalb auf die Idee, diese Steuerungssequenz so zu ver?ndern, dass die delta-Globin-Produktion angekurbelt wird.

Um dies zu bewerkstelligen, verwendete Boontanrart die CRISPR/Cas9-Genschere. Damit fügte sie in Blutvorl?uferzellen vor dem HBD-Gen, den Bauplan von delta-Globin, drei zus?tzliche DNA-Abschnitte ein. Diese regen die Zellmaschinerie dazu an, mehr delta-Globin zu erzeugen – was tats?chlich gelungen ist.

Die Resultate sind vielversprechend: ?Wir konnten den delta-Globin-Anteil markant steigern, und zwar auf ein Niveau, das therapeutisch wirksam sein k?nnte?, sagt die Forscherin.

Das Einfügen mehrerer DNA-Elemente sei allerdings noch immer eine grosse Herausforderung. ?Es ist anspruchsvoller als die Technik, die andere Forschungsgruppen und Pharmafirmen anwenden?, betont Boontanrart. Forschende in den USA sind ebenfalls daran mithilfe des CRISPR/Cas9-Systems beta-H?moglobinopathien anzugehen, indem sie Blutstammzellen dazu bringen, fetales H?moglobin zu produzieren. Dieses ist die vorherrschende H?moglobin-Form in F?ten. Die Produktion stoppt sp?testens einige Monate nach der Geburt. Fetales Hb soll bei der neuen Therapie anstelle des beta-Globins treten. Dieser Ansatz wird derzeit von der Federal Drug Administration (FDA) für die Zulassung geprüft.

Porträtfoto von Mandy Boontanrart
?Die delta-?Globin-Produktion zu steigern, ist das meiner Meinung nach die bessere therapeutische Option.?
Porträtfoto von Mandy Boontanrart
Mandy Boontanrart

Obschon weit gediehen, habe dieses Vorgehen aber Tücken, sagt Boontanrart. Es lasse sich beispielsweise nicht bei Frauen anwenden, die schwanger sind oder werden m?chten, weil fetales H?moglobin Sauerstoff st?rker bindet als H?moglobin von Erwachsenen. Dadurch k?nnte die Mutter ihrem ungeborenen Kind den Sauerstoff wegschnappen.

?Die delta-Globin-Produktion zu steigern, ist das meiner Meinung nach die bessere therapeutische Option. Delta-H?moglobin hat sehr ?hnliche Eigenschaften wie beta-Globin und kann für nahezu alle Patienten verwendet werden?, sagt Boontanrart.

Spin-off ist im Aufbau

Um ihre Forschungsresultate in die Praxis zu übertragen, begann Boontanrart 2021 w?hrend ihres ETH Pioneer Fellowships das Ariya Bio-Projekt. Den Sitz hat es im ieLab der ETH in Schlieren vor den Toren der Stadt Zürich. 2022 hat die ETH Zürich zudem einen Patentantrag gestellt, um die Entwicklung zu schützen.

Jetzt ist Boontanrart daran, mit zwei Anschluss-Grants, einem SNSF Bridge Fellowship und Mitteln von Innosuisse, der Innovationsf?rderung des Bundes, pr?klinische Untersuchungen vorzubereiten. Diese Untersuchungen sollen im September starten. Mit diesen Studien wollen die Forschenden den Therapieansatz erstmals an Tieren testen, um herauszufinden, ob er sicher und in lebenden Organismen wirksam ist. Bisherige Versuche wurden in Zellkultur durchgeführt.

Die Forscherin hofft, dass bis 2030 alle klinischen Tests abgeschlossen sein werden und ein Produkt verfügbar sein wird. ?Ich bin optimistisch, dass wir die Zulassung schneller erhalten als die Geneditierungsverfahren, die heute in ?berprüfung sind, denn sie helfen mit, unserem Ansatz den Weg zu ebnen.?

Literaturhinweis

Boontanrart MY, M?chler E, Ponta S, Nelis JC, Preiano VG, Corn JE (2023) Engineering of the endogenous HBD promoter increases HbA2 eLife 12:e85258. doi: externe Seite 10.7554/eLife.85258

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert