Verfechter des öffentlichen Raums
Günther Vogt ist einer der gefragtesten Landschaftsarchitekten unserer Zeit. Er hat eine ganze Generation von Architektinnen und Architekten für den ?ffentlichen Raum sensibilisiert. Nach 18 Jahren als ETH-Professor wurde er nun emeritiert.
Wer über die Millenium Bridge ans Südufer der Themse spaziert, steht pl?tzlich vor einem dichten Birkenw?ldchen, das eine grüne Wiese umrahmt. Ein Ort, an dem Menschen picknicken und verweilen. Dahinter wirft der m?chtige Ziegelbau der Tate Modern – ein ehemaliges ?lkraftwerk, das im Jahr 2000 in ein Museum für moderne Kunst umgewandelt wurde, – seinen Schatten über die Uferpromenade. Der Entwurf für dieses kleine, aber berühmte Stück ?Natur? stammt von einem der gefragtesten Landschaftsarchitekten unserer Zeit: Günther Vogt.
?Der Wald soll auf die industrielle Vergangenheit des Ortes verweisen, denn Birken wachsen typischerweise auf Industriebrachen und oft in Flussn?he?, erkl?rt der gebürtige Liechtensteiner. Seit über 20 Jahren gestaltet er G?rten, Parks und Landschaften auf der ganzen Welt – darunter die G?rten des Eiffelturms, die Aussenanlagen der Allianz Arena in München und der Europ?ischen Zentralbank in Frankfurt sowie die Masoala-Halle im Zürcher Zoo. 18 Jahre davon wirkte er als Professor für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich. Ende Juli wurde Vogt emeritiert.
Im Gehen daheim
Vogts Abschied von der ETH Zürich ist untypisch: Anstelle einer Abschiedsvorlesung l?dt er zu einem Spaziergang, der von der Polyterrasse in Zürich die Limmat entlang bis zum Kloster Fahr führt. Von der Stadt aufs Land, vorbei an sch?nen Orten wie dem Stadtpark Josefwiese, aber auch an weniger einladenden Orten wie einer Autobahnbrücke. Beides geh?rt für Vogt zu dem, was er Stadtlandschaft nennt.
Solche Spazierg?nge haben für den Landschaftsarchitekten eine besondere Bedeutung: ?Gehen ist für mich ein Sammeln von Bildern, auf die ich beim Entwerfen zurückgreife.? Beim Gehen entsteht Vogts inneres Archiv. Und dieses reicht bis in seine Kindheit zurück.
Botanischer Rucksacktr?ger
Vogt begeistert sich schon in jungen Jahren für Pflanzen aller Art. Als Neunj?hriger darf er den erfahrenen Botaniker Heinrich Seitter auf unz?hligen Streifzügen durch die Landschaft begleiten. ?Ich war sein Rucksacktr?ger und habe alles aufgesogen, was er über Pflanzen gesagt hat.?
Als Vogt mit 16 Jahren die Gartenbauschule in Oeschberg im Kanton Bern beginnt, kann er bereits auf ein beachtliches botanisches Wissen zurückgreifen, das er in den folgenden Jahren stetig erweitert. Sein inneres Archiv w?chst und w?chst.
Kienast und Vogt
Anschliessend studiert Vogt Landschaftsarchitektur am interkantonalen Technikum in Rapperswil, wo er in Professor Dieter Kienast einen Mentor und Weggef?hrten findet. 1995 gründen die beiden ein gemeinsames Büro. ?Am Anfang hatten wir wenig zu tun und deshalb viel Zeit, intensiv über Landschaftsarchitektur zu diskutieren?, erinnert sich Vogt.
Für den jungen Landschaftsarchitekten ist der Austausch mit dem ?lteren und erfahreneren Kienast pr?gend. So intensiv wird er nie wieder mit einem anderen Menschen zusammenarbeiten.
?Freir?ume sind die wichtigste Ressource einer Stadt.?Günther Vogt
Doch die Arbeitsgemeinschaft mit Kienast nimmt ein viel zu frühes und tragisches Ende. Dieter Kienast stirbt 1998 nach kurzer, aber intensiver Krankheit. ?Dieters Tod war eine Z?sur. Mein wichtigster Gespr?chspartner war pl?tzlich nicht mehr da. Ich musste mir alles neu aufbauen und meinen Gespr?chskreis erweitern.?
Fokus auf grosse Massst?be
Zwei Jahre nach Kienasts Tod gründet Vogt sein eigenes Büro. In seinen Projekten besch?ftigt er sich von nun an vor allem mit ?ffentlichen R?umen. Dabei geht es ihm meist um grosse Massst?be, die weit über einzelne Bauparzellen hinausgehen. Egal ob er einen Park oder einen ganzen Stadtteil entwirft, die zentrale Frage lautet immer: In welcher Beziehung steht ein Ort zur Stadt und ihrer Kultur im ?ffentlichen Raum? Das Verst?ndnis des Kontextes ist für Vogt die Grundlage für jeden Entwurf.
So will er im Westen Londons das Dach einer riesigen Industrieanlage, in der Kies abgebaut wird, in einen ?ffentlichen Park verwandeln, der sich in den Grüngürtel um London herum einfügt. Und in Hamburg entwirft Vogt die Aussenbereiche für einen neuen Stadtteil auf der Halbinsel Grasbrook: Parks, Promenaden, Pl?tze, Strassenr?ume und H?fe bilden zusammen eine neue Stadtlandschaft zwischen Fluss und Hafen, die das Hafengebiet in das Stadtgefüge integriert.
Freir?ume als wichtigste Ressource der Stadt
Bei solchen Grossprojekten agiert der Landschaftsarchitekt zunehmend als Stadtplaner, der soziale, ?konomische und ?kologische Fragen des urbanen Zusammenlebens ebenso berücksichtigt wie die Vegetation und Topografie. Die Schwierigkeit, so Vogt, bestehe darin, die Bedürfnisse ganz unterschiedlicher Nutzer in Einklang zu bringen und gleichzeitig einen atmosph?rischen Raum zu schaffen, in dem sich die Menschen auch in dreissig Jahren noch wohlfühlen.
Freir?ume sind für den ETH-Professor die wichtigste Ressource einer Stadt. Die Tendenz, den ?ffentlichen Raum zu privatisieren, sieht Vogt daher kritisch: Stadtplanung dürfe nicht zum Management von Restfl?chen verkommen. Nur mit genügend Frei- und Grünfl?chen k?nnen St?dte dem Klimawandel standhalten und auch in Zukunft lebenswert bleiben. ?In manche Metropolen?, gibt er zu bedenken, ?werden wir regelrechte Belüftungsschneisen schlagen müssen, um frische und kalte Luft in die Innenst?dte zu leiten.?
Die Natur freilegen
Vogt gelingt es mit seinen Entwürfen immer wieder, die natürlichen Eigenschaften eines Ortes herauszusch?len und erfahrbar zu machen. So auch beim Novartis 澳门美高梅金殿 Park in Basel, wo er aus freigelegten Flusssedimenten tief eingeschnittene Hohlwege schafft. Zwischen den oberen Parkteilen und dem Rhein entsteht eine künstliche Landschaft, die der ?Natur? eine Bühne bietet.
In Vogts Landschaften und Parks kommt nicht nur sein Wissen über Pflanzen, Hydrologie und Geologie zur Geltung, sondern auch sein Sinn für den kulturellen Kontext. ?Was man unter Landschaft versteht, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich?, sagt er. Als der Landschaftsarchitekt beispielsweise erf?hrt, dass bei der Europ?ischen Zentralbank in Frankfurt viele Britinnen und Briten arbeiten, schl?gt er vor, in den Aussenanlagen keine Wege, sondern nur Rasen anzulegen. Die Mitarbeitenden sind begeistert. ?Menschen aus Grossbritannien haben eben ein erotisches Verh?ltnis zum Rasen?, erkl?rt der ETH-Professor die positiven Reaktionen auf den Entwurf.
Zusammenarbeit mit Künstlern
Für die gelungene Verbindung von Landschaftsarchitektur und Kunst erh?lt Günther Vogt 2012 den Prix Meret Oppenheim des Schweizer Bundesamtes für Kultur. In den Medien besonders gelobt werden eine Reihe von Ausstellungen und Interventionen mit dem isl?ndisch-d?nischen Künstler Olafur Eliasson.
Im Kunsthaus Bregenz bringen die beiden einfache Naturph?nomene wie Nebel, Erde oder Wasser ins Museum. Im d?nischen Ebeltoft lassen sie mittels runder Spiegel, die den Himmel reflektieren, den Schein einer verlorenen Gletscherlandschaft wieder auferstehen. Und in Basel fluten sie das Kunstmuseum Fondation Beyeler. Fast ein Dutzend Wasserpflanzenarten schweben sanft im leuchtend grünen Wasser. ?Für Olafur und mich war all das Neuland?, sagt Vogt. ?Er ging als Künstler in die Landschaft und ich als Landschaftsarchitekt ins Museum.?
Verantwortung für den ?ffentlichen Raum übernehmen
Als Vogt 2005 an die ETH Zürich kommt, ist er neben Christoph Girot erst der zweite Professor für Landschaftsarchitektur am Departement für Architektur. Gemeinsam setzen sie sich dafür ein, dass Architektur, St?dtebau und Landschaftsarchitektur in der Lehre zusammengeh?ren. Sie gründen das Institut für Landschaftsarchitektur und setzen nach jahrelangen Bemühungen durch, dass 2020 ein eigener Masterstudiengang für Landschaftsarchitektur eingeführt wird – der erste an einer Schweizer Universit?t.
Auch in der Lehre legt Vogt einen Schwerpunkt auf grosse Massst?be und den ?ffentlichen Raum. Er hat eine ganze Generation von Architektinnen und Architekten an der ETH Zürich dafür sensibilisiert, Verantwortung für den ?ffentlichen Raum zu übernehmen, über die einzelne Parzelle hinauszudenken und die gr?sseren Zusammenh?nge eines Ortes zu verstehen.
Bei seinen Studierenden war Vogt für seine offene und neugierige Art und für gutes Essen bekannt. Um die Diskussion mit seinen Studierenden aufzulockern, versammelte der ETH-Professor sie regelm?ssig um den Esstisch in seinem Büro. ?Das gemeinsame Kochen, Essen und Trinken schuf eine famili?re Atmosph?re und l?ste bei manchen Studierenden Unsicherheiten und ?ngste?, so Vogt.
Mit Günther Vogt verliert die ETH Zürich einen Pionier der Schweizer Landschaftsarchitektur. Langweilig wird ihm aber auch ohne Lehre bestimmt nicht. Denn Vogt hat mit seinen Büros in Zürich, London, Paris und Berlin weiterhin alle H?nde voll zu tun. Seinen Studierenden und seiner Nachfolge will er bewusst keine guten Ratschl?ge hinterlassen. Denn jede Generation müsse ihren eigenen Weg gehen, so wie er das seit jungen Jahren getan habe.