Der Klimawandel allein verursacht keine Massenmigration

Klar ist jedoch: Der Klimawandel gef?hrdet bereits heute die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen rund um die Welt.¹ Tats?chlich d¨¹rften viele von ihnen infolge von D¨¹rren, steigendem Meeresspiegel und Wetterextremen ihre Heimat dereinst verlassen m¨¹ssen, um anderswo neu anzufangen.

Ein Ausblick, der im globalen Norden f¨¹r politischen Z¨¹ndstoff sorgt: In den Medien kursiert regelm?ssig das Schreckgespenst einer ¨¹berbordenden Klimamigration. Vielerorts wird bef¨¹rchtet, dass es zu einem massiven Ansturm von ?Klimafl¨¹chtlingen? Richtung Norden kommen wird.

Die zentrale Frage lautet also: Wohin gehen Menschen, wenn sie vor dem Klimawandel fliehen?

Ein Reallabor f¨¹r Klimamigration

Antworten auf diese Frage suchen wir seit f¨¹nf Jahren in einem SNF-Forschungsprojekt in Bangladesch, das besonders stark vom Klimawandel betroffen ist.² Sei es durch den ansteigenden Meeresspiegel und die Versalzung des Grundwassers, oder sei es durch Wirbelst¨¹rme und immer heftigere Monsunregen ¨C in Bangladesch zeigt sich wie unter einem Brennglas schon heute, was auch Europa erwartet: Die Umwelt ver?ndert sich rasant und bedroht unsere Lebensgrundlagen.

Am Fluss Jamuna l?sst sich das eindr¨¹cklich beobachten. W?hrend in der Trockenzeit das Wasser majest?tisch durch die Landschaft m?andriert, ereignet sich in der Regenzeit Ungeheuerliches: Der Fluss schwillt drastisch an und reisst an den sandigen B?den seiner steil abfallenden Ufer, St¨¹ck f¨¹r St¨¹ck bricht Ackerland und Siedlungsfl?che ab, H?user und ganze D?rfer verschwinden in den Fluten.

Seit 2021 begleiten wir 1700 Familien, die damals noch alle am Flussufer des Jamuna lebten. Bei unserem j¨¹ngsten Besuch im Fr¨¹hjahr 2024 hatte sich der Fluss teils mehr als 500 Meter ins Land gefressen und dabei Tausende H?user zerst?rt. Gemeinsam mit lokalen Studierenden habe ich f¨¹r meine Doktorarbeit in detektivischer Kleinarbeit alle Teilnehmenden aufgesp¨¹rt, die ihr Haus verlassen mussten.³ Was ich dabei erfahren habe, hat mich menschlich zutiefst ber¨¹hrt ¨C und wissenschaftlich oft ¨¹berrascht.

Von wegen nichts wie weg

Wir hatten erwartet, dass die Menschen dieser landfressenden Gewalt so rasch wie m?glich den R¨¹cken kehren ¨C doch das Gegenteil ist der Fall: Die Betroffenen bleiben dem Fluss erstaunlich treu. Selbst jene, die bereits mehrfach ihr Haus verloren haben, wollen meist um jeden Preis in ihrem Dorf bleiben. Umziehen kommt f¨¹r viele erst als letzte Option in Frage.

Die Gr¨¹nde daf¨¹r sind vielf?ltig. Manche haben noch ein St¨¹ck Land in der N?he, das sie bebauen. Andere halten soziale Banden wie Familie und Freund:Innen zur¨¹ck. Was mich am meisten beeindruckt hat, sind der Optimismus und die Hilfsbereitschaft der Menschen. Auch wenn ihnen der Boden unter den F¨¹ssen wegerodiert, helfen sie, das Haus des Nachbarn, das noch n?her am Abgrund steht, ab- und einige Meter landeinw?rts wieder aufzubauen.

Unsere Resultate best?tigen, was andere Studien bereits nahelegten: Von all den Menschen, die ihr Dorf aufgrund der Erosion verlassen mussten, sind die meisten nur wenige Kilometer weitergezogen. Einige hat es in die Hauptstadt Dhaka verschlagen. Doch nur ganz wenige haben Bangladesch verlassen. Ihre Hauptmotivation war dabei aber nicht der Klimawandel ¨C sondern die Hoffnung, im Ausland einen besseren Job zu finden.

Wir haben unsere Forschung zu klimabedingter Migration in Bangladesch in einem Video dokumentiert. Vergangene Woche habe ich das Video zusammen mit den Resultaten an der Weltklimakonferenz in Aserbaidschan pr?sentiert.

Meine Botschaft an die Delegationen: Klimamigration ist kein fernes Zukunftsszenario, sondern schon heute bittere Realit?t f¨¹r Millionen von Menschen. Diese fliehen jedoch kaum ¨¹ber die Landesgrenzen in andere L?nder.

Ein kl?render Blick auf die Klimamigration

Aus meiner Sicht ist unsere gesellschaftliche Diskussion rund um Klimamigration gleich dreifach fehlgeleitet: Sie ist faktisch falsch, politisch gef?hrlich und moralisch verwerflich. So steht die vielbeschworene ?Klimamigrationswelle? auf d¨¹nner Grundlage. Entsprechende Medienberichte fussen meist auf fragw¨¹rdigen Studien, die einfach alle potenziell klimaversehrten Menschen in einer Region zu internationalen Klimafl¨¹chtlingen hochrechnen, aber Binnenmigration und ?Bleiben und Anpassen? vernachl?ssigen.

Solche ¨¹bertriebenen Prognosen werden von populistische Kr?ften in Europa und in den USA missbr?uchlich verwendet, um gezielt ?ngste vor Massenmigration zu sch¨¹ren und Stimmung gegen Migrant:Innen zu machen.

Schliesslich verkennt der globale Nordern seine Verantwortung, wenn er auf den Klimawandel als haupts?chliche Ursache f¨¹r die Migration nach Europa und in die USA verweist.

Menschen migrieren seit jeher, um anderswo bessere Lebensbedingungen zu finden ¨C nicht erst seit dem Klimawandel. Dieser versch?rft jedoch bestehende wirtschaftliche Ungleichheiten, die der eigentliche Treiber hinter den internationalen Migrationsmustern sind.

Wer sich also ernsthaft um die zunehmende Migration nach Europa Sorgen macht, sollte vor allem den Abbau dieser Ungleichheiten in Angriff nehmen. Das w¨¹rde auch den Menschen vor Ort am besten dienen.