Er gab den Ton an fürs Klima
Andreas Fischlin h?lt am 2. Dezember seine Abschiedsvorlesung. Zeit, den System?kologen, der auf h?chster politischer Ebene gegen den Klimawandel gek?mpft hat, zu portraitieren.
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?Ich hatte das Glück, dass ich zehn Jahre nach meiner Pensionierung noch arbeiten durfte? – Wer so etwas sagt, liebt seinen Job oder hatte eine besonders grosse Verantwortung wie Andreas Fischlin. Bis Juni 2023 war er Vizepr?sident der Arbeitsgruppe II des Weltklimarates IPCC und über 30 Jahre lang dort aktiv. Als Pionier auf seinem Gebiet modellierte er ?kosysteme, um vorauszusagen, wie sich der Klimawandel auf kleinste Lebensr?ume auswirkt. Endgültig Schluss macht er damit aber nicht.
Von der Musik zur ?kologie
Die Mutter bildende Künstlerin, der Vater Berufsmusiker und w?hrend des Studiums hatte er selbst noch mit dem Gedanken gespielt, Musiker zu werden. ?Mit meiner damaligen Band h?tten wir als Vorgruppe von Pink Floyd spielen sollen.? Für das Vordiplom legte er die Instrumente beiseite und entschied sich für die Wissenschaft. ?Mir war klar, dass es ?kologie sein muss. Die Modellierung von ?kosystemen war mein Ziel.? Weil es das noch nicht gab, hat er sich Professoren gesucht, die ihn unterstützt haben, und sich sein Studium aus Zoologie, Botanik, Mathematik und Systemtheorie ?selbst zusammengeschustert.?
Nach seiner Postdoc-Zeit in Kanada arbeitete er zur H?lfte in der Entomologie und zur anderen H?lfte in der Elektrotechnik. ?Dann bekam ich einen Anruf des damaligen ETH-Abteilungsvorstehers. Mitten in den Debatten ums Waldsterben, der Umweltverschmutzung, dem sauren Regen und Tschernobyl sollten wir uns Ende der 1980er-Jahre Gedanken machen zu einem neuen Studiengang. Die damalige Abteilung X für Naturwissenschaften erteilte Dieter Imboden, Andreas Gigon, Alois Weidmann und mir den Auftrag, einen Vorschlag auszuarbeiten. Wir heckten den Studiengang Umweltnaturwissenschaften aus – und wir und die ETH wurden überrumpelt vom Erfolg!?, erz?hlt Fischlin auf seine lebendige Art.
Von der ?kologie in die Klimapolitik
Weil er sich früh mit Klimafragen und den Auswirkungen auf Land?kosysteme besch?ftigt hatte, wurde Fischlin bereits 1992 zu einem koordinierender Hauptautor des IPCC-Reports. In dieser Rolle trug er auch dazu bei, dass der IPCC 2007 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Bereits Ende der 1990er fragte ihn die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT), ob er als Wissenschaftsvertreter die Schweizer Delegation in den UNFCC-Verhandlungen begleiten m?chte. ?Erst habe ich gesagt: Nein, ich habe keine Zeit. Nach der dritten Anfrage habe ich gesagt: Ok, aber nur einmal. Daraus wurden bis zum Pariser ?bereinkommen 17 Jahre, in denen ich als Mitglied der Delegation bei allen Klimaverhandlungen mitgearbeitet habe.?
Ein Dirigent in den Klimaverhandlungen
Die Klimaverhandlungen auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen, war nicht immer leicht, wie sich Andreas Fischlin an die COP 2009 in Kopenhagen erinnert. Wutentbrannte Delegierte wollten dem d?nischen Ministerpr?sidenten, der die Verhandlungen leitete, sogar an die Gurgel. ?Ich bin ihnen hinterhergerannt und rief ihnen zu: Why do you put your personal pride over everything else in such a historic hour?! Das hat sie gestoppt. Ein solcher Zusammenbruch der Verhandlungen ist meines Wissens noch nie zuvor passiert.?
Nachdem der entgleiste Klimazug wieder eingespurt war, bekam Fischlin 2013 den Auftrag, den Structured Expert Dialog des ersten Periodic Review der UNFCC zu leiten. Aufgabe war es, die in Kopenhagen vorgeschlagene Grenze von 2 Grad Klimaerw?rmung in Anbetracht der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu überprüfen. ?Wir haben eine Auslegeordnung gemacht und es hat sich klar gezeigt, dass eine tiefere Begrenzung auf 1,5 Grad sinnvoller w?re, wenn man bedachte, welche negativen Folgen schon die damalige Erw?rmung von weniger als 1 Grad hatte. Das hat unglaublich eingeschlagen. Im Pariser ?bereinkommen 2015 wurden die wissenschaftlichen Argumente, die wir bereitgestellt hatten, breit diskutiert und die Regierungen haben dann eine Grenze von 1,5 Grad beschlossen.?
Ein Leben für den L?rchenwickler
Bei all seinen ?mtern hat Fischlin, der seine Dissertation bereits über den grauen L?rchenwickler geschrieben hat, das faszinierende Insekt nie aus den Augen verloren. Das Besondere an ihm ist ein zyklisches Ph?nomen, das seit Jahrtausenden nachweisbar ist: Innerhalb von nur etwa vier Jahren steigt die Population um über das Tausendfache an und f?llt die folgenden vier Jahre wieder zusammen. Millionen an Forschungsgeldern sind seit Ende des Zweiten Weltkriegs in das Projekt geflossen. ?Jedes Jahr ist eine Heerschar von Mitarbeitenden im ganzen Alpenraum auf die B?ume geklettert, hat L?rchenzweige abgeschnitten und die Raupen auf den ?sten gez?hlt, um die Populationsdichte über die Jahre verfolgen zu k?nnen.? Die Ursache hinter den Zyklen ist noch immer nicht befriedigend gekl?rt und in Fischlins Büro stapeln sich unz?hlige Ordner und digital abgespeicherte Datensch?tze, die einer vollst?ndigen Ver?ffentlichung harren.
Das Forschungsprojekt startete bereits in Fischlins Geburtsjahr 1949 und zentrale Daten aus der Anfangszeit bis 1978 wurden auf Tonbandkassetten zwischengespeichert, für die es weltweit keine Leseger?te mehr gibt. ?Auf allen sind die Antriebsrollen geschmolzen wie Kaugummi?, sagt Fischlin und resümiert: ?Es scheint, ich bin der letzte Mohikaner, der es schaffen k?nnte, diese Daten zurückzulesen und im richtigen Kontext zu ver?ffentlichen.?
Mit Hoffnung für unsere Zukunft
Trotz aller Herausforderungen, in denen wir derzeit stecken, bleibt Fischlin optimistisch: ?Das Gute am Klimaproblem ist, dass sich jeder noch so kleine Aufwand lohnt. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass man die Hoffnung aufgeben sollte.? Er selbst hat mit seiner Arbeit jedenfalls einen unverzichtbaren Beitrag geleistet, den Lebensraum der Menschen nach M?glichkeit zu erhalten. Nun hoffen wir, dass nach seiner letzten Vorlesung die passende Abschiedsmusik gespielt wird. Wenn es nach ihm ginge, stünde das bereits fest: Frank Zappa.
Abschiedsvorlesung
Am Montag, 2. Dezember um 17.15 Uhr h?lt Professor Andreas Fischlin seine Abschiedsvorlesung mit dem Titel Klimakrise, Umweltsystemwissenschaften und der graue L?rchenwickler im Audi Max. Die Veranstaltung wird externe Seite live gestreamt.