«Eine Positionierung zu geopolitischen Fragen würde den Auftrag der ETH Zürich eher behindern als unterstützen»
Die Schulleitung hat kürzlich eine Richtlinie der Ad-hoc-Kommission zur institutionellen Positionierung verabschiedet. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die ETH Zürich künftig keine offizielle Position zu geopolitischen Konflikten mehr einnehmen soll. Ein Interview mit der Leiterin der Kommission Effy Vayena.
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare

Aufgrund geopolitischer Krisen und Ereignisse war das letzte Jahr für die Hochschulen weltweit ein turbulentes Jahr. Deshalb setzte ETH-Pr?sident Joel Mesot im Juli 2024 eine Ad-hoc-Kommission zur Institutionellen Positionierung ein. Die Kommission erhielt den Auftrag, Entscheidungsgrundlagen für die Schulleitung zu erarbeiten, ob die ETH Zürich als Institution zu geopolitischen Krisen und Konflikten Position beziehen soll. Ausserdem sollte sie Kriterien definieren, wann institutionelle Stellungnahmen zu solchen Themen, gemacht werden sollen.
Die Kommission wurde von der Delegierten für digitale Transformation und Governance Effy Vayena geleitet und umfasste Mitglieder aller Hochschulgruppen.
Warum haben Sie die Leitung der Kommission übernommen, als Sie vom Pr?sidenten darum gebeten wurden?
Angesichts der Ereignisse des letzten Jahres war mir klar, dass dies ein wichtiges Mandat ist mit dem Potenzial grosser Auswirkungen auf unsere ETH-Community. Ich wusste, dass es keine leichte Aufgabe sein würde, eine ausgewogene Empfehlung zu erarbeiten. Aber es ist ein Thema, das mich in meinem professionellen und pers?nlichen Alltag sehr besch?ftigt. Daher wollte ich die Bemühungen der ETH unterstützen, einen prinzipientreuen Weg zur L?sung dieses Problems zu entwickeln.
Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass die ETH Zürich als Institution darauf verzichten soll Position zu beziehen bei geopolitischen Fragen. Was waren die meistdiskutierten Punkte unter den Kommissionsmitgliedern?
Im Zentrum unserer Diskussionen über die Haltung der ETH Zürich zu geopolitischen Konflikten stand eine grundlegende Frage: Wie lassen sich solche Positionen mit dem Auftrag und den Werten der Hochschule vereinbaren? In den Diskussionen zeigte sich die gemeinsame Sorge der Kommissionsmitglieder, dass es Risiken birgt sich in geopolitischen Konflikten zu positionieren. Der Kern des Auftrags der ETH Zürich ist es, Forschung, Bildung und Wissenstransfer voranzutreiben und dabei Prinzipien wie akademische Freiheit und Inklusion zu wahren. Die Schlussfolgerung war klar: Eine Positionierung zu geopolitischen Fragen würde den Auftrag der ETH Zürich eher behindern als unterstützen. Durch die Wahrung der Unparteilichkeit sichert die Hochschule ihre Rolle als Ort des offenen Austauschs. Sie stellt damit sicher, dass wissenschaftliche Exzellenz und Lehre im Mittelpunkt ihrer Bemühungen stehen.
Kritische Stimmen k?nnten es als Feigheit bezeichnen, nicht Stellung zu beziehen. Was würden Sie darauf antworten?
Der Verzicht auf offizielle Positionierungen bedeutet nicht, dass unsere Institution den globalen Herausforderungen gleichgültig gegenübersteht. Aber der beste Beitrag, den die ETH für die Welt leisten kann, ist die Erfüllung ihres Auftrags in Forschung, Lehre und Wissenstransfer. Die Positionierung zu komplexen geopolitischen Krisen geh?rt nicht zu diesem Kernauftrag.
Darüber hinaus stellt sich die Frage der Konsistenz. Konflikte und Krisen finden laufend und überall auf der Welt statt. Als Institution ist es für uns unm?glich, jeden einzelnen Konflikt sorgf?ltig zu bewerten und Stellung zu beziehen. Indem wir uns in allen F?llen zurückhalten, nehmen wir eine klare und berechenbare Haltung ein, die uns vor externem Druck schützen kann.
Als internationale Institution umfasst unsere Gemeinschaft ausserdem Angeh?rige aus vielen Staaten, die in geopolitische Krisen verwickelt sind oder sein k?nnten. Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle unsere Mitglieder sich sicher fühlen und frei darin sind, ihre akademischen und beruflichen Ziele zu verfolgen. Eine institutionelle Positionierung kann sich negativ auf diejenigen Mitglieder unserer Gemeinschaft auswirken, die aus Nationen oder Gruppen stammen, gegen die wir eine Position eingenommen haben. Dies kann unsere Kultur der Inklusion und Offenheit untergraben. Letztlich wurzelt die Haltung der ETH Zürich in der ?berzeugung, dass der wissenschaftliche Fortschritt m?glichst ungehindert bleiben sollte und dass die Akademie ein Raum für offenen Austausch bleiben muss.
In dem Grundsatzpapier unterscheiden Sie ausdrücklich zwischen institutioneller geopolitischer Positionierung und institutionellen geopolitischen Stellungnahmen. Warum?
Die ETH Zürich hat sich entschieden, keine offiziellen geopolitischen Positionen einzunehmen, aber natürlich k?nnen globale Konflikte tiefgreifende Auswirkungen auf unsere vielf?ltige Gemeinschaft haben.
Wenn Konflikte im Ausland zu Spannungen auf dem 澳门美高梅金殿 führen - wie Diskriminierung und Bel?stigung oder St?rungen des Universit?ren Lebens – dann hat die ETH sowohl das Recht als auch die Verantwortung, diese Probleme anzugehen. Bei solchen ?usserungen oder Handlungen geht es nicht darum, in einem externen Konflikt Partei zu ergreifen, sondern vielmehr darum, die ETH-eigenen Werte der akademischen Freiheit, der Inklusion und des gegenseitigen Respekts zu wahren. Es liegt in unserer Verantwortung, an unserer Hochschule ein unterstützendes und respektvolles Umfeld zu schaffen.
Wie k?nnen wir als ETH unsere Angeh?rigen, die von globalen Konflikten betroffen sind, unterstützen?
Oft dominieren die lautesten Ansichten den ?ffentlichen Diskurs. Innerhalb der ETH gibt es jedoch Personen mit unterschiedlichsten Hintergründen, deren Stimmen vielleicht nicht so laut sind. Die ETH ist sich ihrer Verantwortung gegenüber all ihren Angeh?rigen bewusst, auch gegenüber jenen, deren Perspektiven in globalen Debatten weniger geh?rt werden.
Um betroffene Mitglieder der ETH-Gemeinschaft zu unterstützen, hat die Kommission deshalb vorgeschlagen, klare Kommunikationskan?le und Unterstützungsstrukturen zu schaffen. Dies würde es den Studierenden und Mitarbeitenden erm?glichen, ihre Anliegen vorzubringen, Unterstützung zu erhalten und die Herausforderungen zu bew?ltigen, denen sie aufgrund der globalen Ereignisse gegenüberstehen.
Letztlich muss es die Priorit?t der ETH sein, ein akademisches Umfeld zu schaffen, in dem Forschung und Zusammenarbeit unabh?ngig von externen Konflikten gedeihen k?nnen. Die Rolle der Institution besteht nicht darin, in politischen Auseinandersetzungen Partei zu ergreifen, sondern dafür zu sorgen, dass sich jedes Mitglied der Gemeinschaft sicher und unterstützt fühlt.
Wie schwierig war es für die Kommission, sich auf eine endgültige Fassung der Richtlinie zu einigen?
Wir haben zwar bis zur letzten Minute über Prinzipielles und Details diskutiert und ?nderungen am Text vorgenommen, aber die Kommission hat den Text einstimmig angenommen. Ich habe darauf geachtet, dass jede gewünschte ?nderung diskutiert und eingearbeitet wurde, entweder in ihrer ursprünglichen Form oder in einer anderen Version. Wir wollten sicherstellen, dass die Richtlinie einen echten Konsens wiedergibt. Und ich m?chte hervorheben, dass die Arbeit der Kommission trotz dieses sensiblen und emotionsgeladenen Themas ein herausragendes Beispiel für Kollegialit?t, Professionalit?t, respektvolle Gespr?che und sorgf?ltiges Nachdenken war. Ich pers?nlich habe die Leitung der Kommission als sehr bereichernd empfunden. Alle die mitgearbeitet haben, haben dies mit grossem Einsatz gemacht, weil sie wirklich interessiert waren und einen Beitrag leisten wollten.
Leiterin: Effy Vayena, Stellvertretende Vizepr?sidentin für Digitale Transformation und Governance; D-HEST
Professoren
- Margarita Boenig-Liptsin, D-GESS
- Mennatallah El-Assady, D-INFK
- Georg von Krogh, Globaler Beirat, D-MTEC
- Andy Wenger, Leiter des CSS, D-GESS
- Alex Widmer, Sprecher der Departementsvorsteher, D-USYS
- Lutz Wingert, Vorsitzender der Ethikkommission, D-GESS
Studierende und Mittelbau
- Julia Bogdan, VSETH, D-INFK
- Nic Cantieni, VSETH, D-ITET
- Lucie Kralikova, AVETH, D-BIOL
- Lukas Spiekermann, AVETH, D-MAVT
Verwaltung
- Katharina Poiger, Generalsekret?rin
- Rainer Borer, Leiter Hochschulkommunikation
Wie gehen andere Institutionen mit diesem Thema um?
Die Kommission hat sich auch den Umgang anderer Hochschulen mit geopolitischen Fragen angeschaut. Dafür untersuchte sie Institutionen in der ganzen Schweiz und mit der ETH vergleichbare Hochschulen weltweit. Dabei stellte sich heraus, dass keine Hochschule in der Schweiz eine offizielle Richtlinie zu diesem Thema hat und auch in Europa fand die Kommission keine Hochschule, die sich strukturiert mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. In den Vereinigten Staaten hingegen haben einige Universit?ten entsprechende Richtlinien entwickelt.
Unter den Institutionen, die eine Richtlinie haben, zeichnete sich ein klares Muster ab: Die Mehrheit hielt an dem Grundsatz fest, dass Universit?ten keine offiziellen Positionen zu geopolitischen Fragen einnehmen sollten. Dieser Ansatz folgt einer langen Tradition, die bis in die 1960er Jahre zurückreicht, als die Universit?t von Chicago den berühmten externe Seite Kalven-Bericht ver?ffentlichte, der die Bedeutung der institutionellen Neutralit?t in politischen Angelegenheiten betonte. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Sichtweise unter führenden akademischen Einrichtungen nach wie vor weit verbreitet ist. Sie st?rkt den Gedanken, dass sich Universit?ten auf ihre Kernaufgaben Bildung, Forschung und Wissenstransfer konzentrieren sollten, anstatt sich politisch zu positionieren.
Weitere Informationen
- Download Positionspapier der Ad-hoc Kommission im verbindlichen englischen Original (PDF, 109 KB)
- Download Positionspapier der Ad-hoc Kommission in der deutschen ?bersetzung (PDF, 115 KB)
- Webseite ?Haltung zu geopolitischen Konflikten?
Immer aktuell informiert
M?chten Sie stets die wichtigsten internen Informationen und News der ETH Zürich erhalten? Dann abonnieren Sie den Newsletter ?Intern aktuell? und besuchen Sie regelm?ssig Staffnet, das Info-??Portal für ETH-??Mitarbeitende.