Vom Rittberger zum Quantensprung

Mit zwei auf den Schlittschuhen

Heim sitzt am Esstisch ihres Einfamilienhauses im Kanton Aargau. Im ganzen Haus stehen Umzugsboxen he?rum, erst eine Woche vor dem Gespr?ch ist sie mit ihrem Mann hier eingezogen. Ab und zu h¨¹pft eine der beiden Sphynx-Katzen auf den Tisch und sucht Streicheleinheiten. ?Ich bin ein sehr leidenschaftlicher Mensch?, sagt Heim ¨¹ber sich selbst. ?Wenn ich ein Hobby habe, dann mache ich es zum Beruf.?

Als sie zwei Jahre alt war, habe sie sich auf dem Flohmarkt ein paar Schlittschuhe gekrallt, erz?hlt sie und lacht. ?Und ich liess sie einfach nicht mehr los.? Da die Familie in Gehdistanz zur Eishalle wohnte, liessen die Eltern ihre Tochter gew?hren und unterst¨¹tzten sie in ihrem neuen Hobby. Sp?ter, als Bettina Heim l?ngst ihr Interesse f¨¹r die Naturwissenschaften entdeckt hatte, verdiente sie mit Eiskunstlaufen Geld: Zu Beginn ihres Studiums coachte sie als Trainerin alle, die sich auf dem Glatteis zurechtfinden wollten ¨C vom Zweij?hrigen bis zum Physikprofessor sei alles dabei gewesen. Heim arbeitete selbstst?ndig und kam auf ein F¨¹nfzig- bis Sechzig-Prozent-Pensum.

Vom Appenzellerland an die ETH

Dass Heim am Quantensprung der Computertechnologie mitarbeiten wird, war nicht unbedingt vorauszusehen. Als in den 1990er-Jahren in der Computerbranche Goldgr?berstimmung herrschte, wuchs Heim weit weg von der technologischen Avantgarde im appenzellischen Herisau auf. Die Eltern arbeiteten im Verkauf: Traktoren und Detailhandel. Bis Mitte der Nullerjahre besass die Familie nicht einmal einen Computer.

Dass sie nicht nur naturwissenschaftlich begabt war, sondern auch ein Flair f¨¹rs Programmieren hatte, entdeckte Heim erst kurz vor ihrer Matura. Sie schrieb sich f¨¹rs Physikstudium an der ETH ein und wurde dort mit einem Excellence Scholarship gef?rdert. ?Das erlaubte mir, den Job in der Eishalle aufzugeben und mich voll auf das Studium zu konzentrieren?, sagt sie. In ihrer Bachelorarbeit befasste sie sich erstmals mit Quantencomputern: Sie untersuchte, warum der erste kommerzielle Quantencomputer namens D-Wave in vielen Vergleichen mit klassischen Computern schlecht abschnitt. Worauf viele jahrelang warten m¨¹ssen, gelang ihr im ersten Anlauf: die Publikation im Fachmagazin ?Science?. Nach dem Studium doktorierte Heim bei Matthias Troyer, dem damalige?n Professor f¨¹r Computational Physics an der ETH. Sie folgte ihrem Mentor schliesslich in die Industrie. Heim arbeitete f¨¹r Microsoft und lebte daf¨¹r vier Jahre lang in Seattle in den USA. Vor rund zwei Jahren zog es sie zur¨¹ck in die Schweiz. Ihr Ehemann bevorzugte die Schweiz, zudem war ihr Vater gestorben und sie wollte f¨¹r ihre fortan alleinlebende Mutter da sein.

Software f¨¹r Quantencomputer

Bei Nvidia erhielt Heim die M?glichkeit, ein eigenes Team von Grund auf aufzubauen, um Software f¨¹r Quantencomputer zu entwickeln. ?Lange ging es bei Quantencomputern nur um die Hardware. Die Software wurde als selbstverst?ndlich angesehen?, so Heim. ?Dabei w¨¹rde normale Software auf Quantencomputern gar nicht funktionieren.? In einem ersten Schritt entwickelt Heim mit ihrem Team deshalb eine Schnittstelle namens CUDA-Q, die es erm?glicht, mit g?ngigen Programmiersprachen wie Python und C++ ¨¹berhaupt erst f¨¹r Quantencomputer zu programmieren.

Ihr B¨¹ro im oberen Stockwerk hat Bettina Heim bereits fertig eingerichtet. Der breite, geschwungene Bildschirm scheint angesichts ihrer T?tigkeit ¨¹berraschend kompakt ¨C es ist ein klassischer moderner Computer. ?Wenn ich Quanten-Simulationen durchf¨¹hren muss, verbinde ich mich mit einem leistungsf?higen Computer im B¨¹ro an der Europaallee in Z¨¹rich?, sagt sie. In der Regel arbeitet Heim aber von zu Hause aus, genauso wie ihre Mitarbeitenden. Da diese in den USA leben, beginnen Heims Arbeitstage meist am Mittag und dauern bis sp?tabends. Fragt man sie, was sie aus ihrer sportlichen Karriere gelernt hat, dann sagt sie: ?Mit R¨¹ckschl?gen umgehen zu k?nnen.? An ihrem jetzigen Job sch?tzt sie, dass sie nicht mehr Einzelk?mpferin ist wie damals auf dem Eis, sondern andere dazu ermutigen kann, das Beste aus sich herauszuholen. So verbringt sie einen Grossteil ihrer Arbeitszeit mit Calls mit ihren Mitarbeitenden. Zum Programmieren kommt sie fast nur in der Freizeit und am Wochenende. Heim arbeitet viel, ihre Arbeit war schon immer auch ihre Leidenschaft. Sie merke aber zunehmend, dass manchmal auch etwas Abstand guttut. ?Ich habe angefangen, etwas im Garten zu arbeiten?, sagt sie.

Ihr berufliches Ziel formuliert Bettina Heim kurz und b¨¹ndig: ?Ich m?chte dazu beitragen, dass man mit Quantencomputern etwas N¨¹tzliches tun kann.? Denn tats?chlich sind die neuen Rechner derzeit noch f¨¹r nichts wirklich gut. Moderne klassische Computer sind ihnen in praktischen Anwendungen noch haushoch ¨¹berlegen. Dass das Potenzial von Quantencomputern in der Theorie riesig ist, bestreitet dabei niemand: So br?uchten normale Computer, um die Primfaktoren einer 2048-Bit-Zahl zu ermitteln, Millionen von Jahren. Mithilfe von Quantenbits k?nnte eine solche Berechnung in wenigen Minuten ausgef¨¹hrt werden. ?Es ist durchaus realistisch, dass Quantencomputer in einigen Jahren gewisse Probleme besser l?sen, als klassische Computer das k?nnten?, sagt Heim.

Doch wozu sollte das gut sein? Einfache Antworten darauf gibt es noch nicht, weltweit t¨¹fteln Forschende an n¨¹tzlichen Anwendungen der neuen Technologie. Heim sagt: ?Es geht ja nicht darum, in Zukunft Microsoft Word auf Quantencomputer laufen zu lassen, sondern ganz spezifische Probleme zu l?sen.? Oder anders gesagt: Quantencomputer werden klassische PCs nie ersetzen, sondern sie bei extrem komplexen Aufgaben erg?nzen.

Trotzdem sagen nicht wenige Beobachter in der Entwicklung von Quantencomputern eine Revolution voraus. So k?nnten die neuen Rechner die Entwicklung von Medikamenten revolutionieren. Heim ?ussert sich da vorsichtiger. Sie k?nne sich gut vorstellen, dass Quantencomputer das maschinelle Lernen von k¨¹nstlicher Intelligenz voranbringen k?nnten. ?Ich bin optimistisch, dass Quantencomputer ihre Vorteile irgendwann ausspielen werden, auch wenn man heute noch nicht sagen kann, wo sie liegen.? F¨¹r sie f¨¹hle sich die jetzige Zeit sehr aufregend an. ?F¨¹r die Entwicklung der Computertechnologie kam ich eine Generation zu sp?t. Aber das Gef¨¹hl, jetzt bei den Quantencomputern von Anfang an dabei zu sein, ist ein ?hnliches.?